Actualité
Appels à contributions
Zwischen Zäsuren lesen. Literatur und Lesekulturen im 21. Jahrhundert (Justus-Liebig-Universität, Gießen)

Zwischen Zäsuren lesen. Literatur und Lesekulturen im 21. Jahrhundert (Justus-Liebig-Universität, Gießen)

Publié le par Marc Escola (Source : Kirsten von Hagen)

Call for Papers

Zwischen Zäsuren lesen: Literatur und Lesekulturen im 21. Jahrhundert

3.-4.12.2025, Justus-Liebig-Universität Gießen

Wie verändert unsere Art zu lesen die Literatur? Aus Sicht der Literaturgeschichte ist die Antwort klar: Literatur konnte nur im Zusammenspiel mit ihren Rezipienten und Rezipientinnen existieren, folglich veränderte ein Wandel der Lesekulturen stets auch das Gesicht der Literatur. Obwohl Lesende in der Literaturgeschichte seltener als die Texte selbst untersucht wurden, haben sie deutliche Spuren hinterlassen. Sie forderten die Literatur heraus, sich den Leseerwartungen anzupassen oder sich ihnen zu widersetzen und Neues zu wagen. In der Gegenwart wirken digitale Medien als Katalysatoren dieser Partizipationsprozesse: Lesecommunities in den sozialen Medien erfinden neue (kollektive) Formate der Buchbesprechung (wie Book Talks, Unwrapping-Reels, Reading Challenges, Bookhauls, Shelfies, …). Diese ‘neuen’ Lesepraktiken lassen Rückfragen zu, inwiefern diese Formate auf frühere Lesepraktiken und ‘bibliomanische’ Zustände rekurrieren; und wie sie nostalgische Leseformen und –orte (re-)inszenieren? Auf welche Weisen fordern sie bestehende Normierungspraktiken heraus oder schaffen neue?

Der Workshop fragt nach diesen sozialen Praktiken und Kulturen des Lesens, nach Orten und Materialitäten des Lesens, fragt danach, wie und wo das Lesen in der hybriden Gegenwart zu beobachten ist – zwischen gedrucktem Buch, Bildschirm, E-Book, Smartphone, Hörbuch… Und er fragt danach, wo und wie das Gelesene öffentlich besprochen wird – im Feuilleton, im Fernsehen, auf Online-Plattformen (BookTube, Bookstagram, BookTok, Goodreads…), in Blogs von Schriftstellerinnen und Autoren, Journalisten und Literaturkritikerinnen. Zugleich sollen Parallelen zu früheren Zäsuren der Lesekulturen adressiert werden, wie der Übergang vom Lesen im öffentlichen Raum zu einer individuellen Lektüre, wie sie Cervantes’ Don Qujote in den Blick rückt. Zudem sollen auch transmediale Verwertungszusammenhänge thematisiert werden: Inwiefern verändern Produktionsunternehmen und Plattformen wie Netflix, Amazon, Apple TV, etc., wo Literatur in Form verfilmter Unterhaltungsserien präsent ist, Leselust und (literarische) Lesepotentiale?

Folgende Themenbereiche und Fragestellungen können adressiert werden:

Soziale Lesepraktiken und Lesekulturen – Transformationen des Lesens und der Literatur:

Wo und wie wird das Lesen heute zu einer sozialen Erfahrung? Wie wirken sich sozio-ökonomische Faktoren auf sozio-kulturelle Lesepraktiken aus, z.B. in den gegenwärtigen ‘Bookishness’-Lesekulturen , die die Liebe zum analogen Buch im digitalen Zeitalter leben? Wie sehen Leseräume, Lesemedien und Lesepraktiken im Wandel aus? Wie verändert sich das Lesen angesichts sozialer, medialer, (zeit-)politischer, […] Zäsuren im 21. Jahrhundert und davor? Welche Veränderungen sind im Hinblick auf die Entwicklungen literarischer Formen über Gattungsgrenzen hinweg zu beobachten? Auf welche Weisen stellen sich Fragen der (Un-)Lesbarkeit? Welche Entwicklungen lassen sich hierzu im Dialog aus historischen, diachronen Perspektiven skizzieren?

Eine (neue?) literarische Öffentlichkeit – Literaturkritik im digitalen Zeitalter: 

Welche lesenden Sozialfiguren prägen eine ‘neue literarische Öffentlichkeit im Strukturwandel?’ Wie agieren ‘neue’ und ‘etablierte’ Akteur*innen der literarischen Öffentlichkeit gemeinsam? Wo sind sie bereits in kollektiver (Lese-)Praxis eng miteinander verflochten? Und wo verlaufen Grenzen, werden neue gezogen? Wenn ein struktureller Wandel der literarischen Öffentlichkeit in der Gegenwart festgestellt werden kann – wie sind die neuen Strukturen beschaffen? Zersetzt eine größere Diversifizierung stärker hierarchisierende Traditionen, wie wird Konsens in Bezug auf (ästhetische) Wertungen erzeugt, wie funktioniert Dissens? Wie erreichen Formen der Literaturkritik heute die Lesenden, welche neuen Wege und Formate ergeben sich für literarische Kritikformen aus der Entwicklung der digitalen Medien heraus? Inwiefern geben sie Antwort auf die politischen Krisen der Gegenwart?

Kritische Lesemodi und –praktiken:

Was bedeutet die Ergänzung kritischer, ‚paranoider‘ Lesepraktiken durch postkritische Ansätze für die Wirkungsvielfalt und Bedeutsamkeit von Texten auf und für Lesende in heutigen Lesekulturen? Welche neuen, kreativen und überraschenden Möglichkeiten des Lesens werden hier mit Blick auf offene, affektive Interaktionen zwischen Lesenden und Texten greifbar? Kann ein ‚postcritical turn‘ eine produktive, reparative Zäsur für das Lesen abbilden?

Wir bitten um Einsendung von Vorschlägen für einen Vortrag von 30 Minuten (inkl. Vortragstitel, Abstract von 500 Wörtern, Kurzbiografie) an die E-Mail-Adressen: Kirsten.v.Hagen@romanistik.uni-giessen.de; Elena.Hamidy@slavistik.uni-giessen.de, Marie-Theres.Stickel@romanistik.uni-giessen.de Die Vorschläge können bis zum 15. Juli 2025 eingeschickt werden.

Die Beiträge des Workshops sollen veröffentlicht werden. Die Workshopsprachen sind Deutsch und Englisch.

Auswahlbibliographie

Anker, Elizabeth S.; Felski, Rita (Hg.) (2017): Critique and postcritique. Durham, London: Duke University Press.
Felski, Rita (2015): The limits of critique. Chicago, London, Ann Arbor: The University of Chicago Press; ProQuest Ebook Central. Online verfügbar unter https://permalink.obvsg.at/AC13765506.
Lauer, Gerhard (2025): Die neue literarische Öffentlichkeit. Zum Stand eines Strukturwandels. Merkur (910, 26-29). Online verfügbar unter https://www.merkur-zeitschrift.de/artikel/die-neue-literarische-oeffentlichkeit-a-mr-79-3-26/, zuletzt geprüft am 24.03.2025.
Pressman, Jessica (2020): Bookishness. Loving Books in a Digital Age. New York: Columbia University Press (Literature Now). Online verfügbar unter https://www.degruyter.com/isbn/9780231551199.
Sedgwick, Eve Kosofsky (2003): Touching Feeling. Affect, Pedagogy, Performativity. Durham: Duke University Press (Series Q).