Questions de société
Vu d'Allemagne: 

Vu d'Allemagne: "Heute noch keine Revolution" (Süddeutsche Zeitung 31/03/09)

Publié le par Bérenger Boulay (Source : SLU)

"Heute noch keine Revolution", Johannes Willms, Süddeutsche Zeitung 31/03/09

http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/470584

Der weite Platz vor dem Pantheon in Paris war am Montagnachmittag dieSzene für das jüngste Happening, mit dem sich in Frankreich derlandesweite Protest von Studenten und Lehrkräften gegen die von derRegierung geplanten Universitätsreform artikulierte. Am Abend zuvorhatte Valérie Robert, die seit Beginn der Streikaktionen an denUniversitäten rastlos E-Mails mit Veranstaltungsankündigungen,Proklamationen und Analysen verschickt, den Aufruf "Au sécours,reveillons les Grands Hommes" verbreitet. Der Appell war eineAnspielung auf die Inschrift, die in goldenen Lettern über dem Peristyldes Ruhmestempels prangt, in dem seit der Revolution von 1789 diegroßen Toten Frankreichs beigesetzt werden. Gut einhundert Personen,zumeist Studenten, fanden sich ein und machten einen Höllenlärm. MitHolzlöffeln schlugen sie auf Töpfe und Pfannen, ließen Pfeifen trillernoder stießen in Hörner.

Diese viertelstündige ohrenbetäubende Kakophonie, der neben einigenratlosen Touristen wenigstens fünf Fernsehteams und auch ein gutesDutzend Sbirren in Uniform und Zivil beiwohnten, ist ein Beispiel fürdie Phantasie, mit der seit zwei Monaten landesweit gewaltlos undgutgelaunt gegen die von Präsident Nicolas Sarkozy gewollte Reform derUniversitäten aufbegehrt wird. Ein anderes aktuelles Beispiel liefertdie "Ronde infinie des obstinés". Das ist eine Gruppe vonDemonstranten, die seit dem Mittag des 23. März in zumeist schweigendemProtest ständig im Kreis herumgehen. Und das bei Tag und Nacht auf demPlatz vor dem Pariser Rathaus, der Place de Grève, dessen Namesinnigerweise das französische Wort für Streik ist. Hier wie vor demPantheon lautet der Slogan: "Nein, die Universität ist weder einUnternehmen, noch ist Bildung eine Ware".

Derart einfallsreich und griffig wird ein Gesetz attackiert, das esbeispielsweise den Präsidenten der einzelnen Universitäten gestattensoll, festzulegen, wie viel Zeit einer der rund 90 000 Professoren inForschung, Lehre oder Verwaltung tätig zu sein hat. Um dasfestzustellen, muss sich jeder Lehrende alle vier Jahre evaluierenlassen, sprich seine Leistung nachweisen. Dahinter steht die Absicht,das Lehrpersonal möglichst effizient, also zeit- und kostensparend,einzusetzen. Die Pointe dabei ist, dass die Universitäten künftig auchautonom über die Verwendung ihres Etats, in den auch Drittmittelseitens der Industrie einfließen können, entscheiden. Vor allem dieseAbsicht erhellt, warum die Studenten im Protest mit den Professorenvereint sind, denn sie fürchten, dass ihre Ausbildung nicht nurzeitlich verkürzt, sondern auch auf die Nachfrage des Arbeitsmarktsrespektive der Industrie zugeschnitten werden soll.

Der Protest lässt sich ignorieren

Solange Studenten und Professoren sich damit bescheiden, derartspielerisch ihren Unmut über das geplante Gesetz kund zu tun, derLehrbetrieb außerdem nicht völlig zum Erliegen kommt, kann es sich dieRegierung leisten, den Protest weitgehend zu ignorieren. Trotzdemscheint Wachsamkeit geboten, weshalb seit Wochen in unmittelbarer Näheder Pariser Sorbonne Einheiten der wegen ihrer Schlagfreudigkeitgefürchteten Compagnie républicaine de sécurité (CRS) bereit stehen.Auch muss, wer die Universitätsgebäude betreten will, seinenStudentenausweis vorzeigen.

Die Universitäten sind aber nur ein gesellschaftlicher Bereich, in demsich augenblicklich Unmut regt. Für die Regierung weitaus gefährlicherwäre eine breite Protestbewegung, die in Reaktion auf die Auswirkungender weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise in Frankreich in Gang käme.Deshalb wurde es mit spürbarer Erleichterung quittiert, dass der 19.März, für den die Gewerkschaften schon zum zweiten Mal in diesem Jahrzu einem landesweiten Streik aufriefen, nicht der Tag war, an demFrankreich lahmgelegt wurde. Zwar zogen in Paris und anderen großenStädten einige hunderttausend Menschen friedlich demonstrierend durchdie Straßen, aber Bahnen und Busse, die Pariser Metro und die RERverkehrten fast im gewohnten Takt. Auch Post und Pakete wurdenausgeliefert, lediglich auf die Zeitungen musste man am 20. Märzverzichten. Deren Auslieferung wurde bestreikt.

Angst vor einer Streikwelle

Das Geschehen an diesem 19. März war symptomatisch für die Stimmung,die in Frankreich augenblicklich noch vorherrscht. Die Krise bekommenzwar viele zu spüren, aber dank der umfassenden Instrumentariensozialer Vorsorge des französischen Staats keineswegs alle in gleicherHärte. Das erklärt, warum der allgemeine Unmut wegen der gefühltenBedrohung der Besitzstände zwar wächst, sich bislang jedoch meist nurin friedlichen und vereinzelten Protesten artikuliert. Das kann sichjedoch ändern, sollten immer mehr Unternehmen dazu gezwungen werden,ihre Werke dicht zu machen und die Belegschaft auf die Straße zusetzen. Das könnte die Konflikte rasch verschärfen und damit dasSchreckgespenst vom Mai '68 heraufbeschwören, als dem Regime de Gaullesnicht wegen der Revolutionsfolklore der Pariser Studenten, sondernwegen der landesweiten und sich sehr militant gerierenden Streikwelle,die auch von den Gewerkschaften nicht mehr beherrscht wurde, derUmsturz drohte.

Um diese Gefahr wissen auch die zersplitterten französischenGewerkschaften, die heute noch schwächer sind als damals, als sie inder Kommunistischen Partei noch einen mächtigen Bundesgenossen hatten.Deshalb erklärten sie den 19. März zu einem großen Erfolg. Allein dieDemonstrationszüge lieferten nicht den Nachweis, dass es gelungen ist,der schwelenden Kritik Stoßkraft zu verschaffen und das Handeln derRegierung zu beeinflussen. Dies verschafft der Regierung eineRuhepause. Zumindest vorläufig. Die Frist versuchte sie durchsymbolpolitische Zugeständnisse an den Volkszorn flugs zu verlängern.Dazu gehört das gestern verkündete Gesetzesdekret, das Bonuszahlungenund Genussscheine für Manager untersagt, deren Firmen staatlicheFinanzhilfen bekommen haben. Es trifft aber nur Führungspersonal vonsechs Banken und 13 Industrieunternehmen.

Die den gefürchteten Volkszorn beruhigende Wirkung solcher Gesten istalso begrenzt. Von Sarkozy war unlängst das Eingeständnis zu vernehmen,Frankreich sei keineswegs das Land auf Erden, das sich am einfachstenregieren ließe. Das musste ihm auch schon vorher bekannt gewesen sein,er hatte nur zunächst den kämpferischen Anschein erweckt, die Lehrender Vergangenheit über das besondere Wesen Frankreichs souveränmissachten zu können. Jetzt, im Angesicht der Weltwirtschaftskrise,beginnt Sarkozy die Komplexität Frankreichs zu erkennen. Vor allemdavon, welche Schlüsse er aus dieser Einsicht zieht, dürfte esabhängen, ob die Franzosen das Land erneut in eine Art Revolutionstürzen.

Von Johannes Willms