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Französische Almanachkultur im deutschen Sprachraum (1700-1815). Gattungsstrukturen, komparatistische Aspekte, Diskursformen

Französische Almanachkultur im deutschen Sprachraum (1700-1815). Gattungsstrukturen, komparatistische Aspekte, Diskursformen

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InterdisziplinäreTagung Französische Almanachkultur im deutschen Sprachraum (1700-1815).Gattungsstrukturen, komparatistische Aspekte, Diskursformen (27.09.-29.09.2010 an der Philipps-UniversitätMarburg)

Die gemeinsamvon Prof. Dr. Hans-Jürgen Lüsebrink, Universität des Saarlandes, und Prof. Dr.York-Gothart Mix, Philipps-Universität Marburg, veranstaltete Tagung FranzösischeAlmanachkultur im deutschen Sprachraum (1700-1815). Gattungsstrukturen,komparatistische Aspekte, Diskursformen sollsich dem bisher unerschlossenen und weitgehend unbekannten Textkorpusfranzösischsprachiger Almanache widmen, die in der Zeit der Aufklärung,Französischen Revolution und Napoleonischen Ära im deutschen Sprachraum erschienen. Obwohl auch in der neuerenForschung auf die Bedeutung der französischsprachigen Zeitungen, Zeitschriftenund Almanache im Alten Reich hingewiesen wurde, blieb die Erforschung des vonden Zeitgenossen als Manie d'almanacs ironisierten Phänomens bis heute ein Desiderat. Gerhard RudolphsEinschätzung, die „Fülle der Almanach- und Taschenbuchliteratur“ sei „bishernoch nicht einmal in ihrer ganzen Variationsbreite bekannt“ ist immer nochzutreffend. Bei dem Korpus handelt es sich keineswegs nur um Übernahmeneinzelner Werke oder modische anthologische Kompilationen aus demFranzösischen, sondern auch um Übersetzungen aus dem Deutschen, wie der vonGeorg Christoph Lichtenberg in der für die Zeit außerordentlich hohen Auflagevon 8000 Exemplaren publizierte Almanac de Goettingue dokumentiert. Außerdem finden sich zahlreicheOriginalwerke, dennoch hat sich die nationalphilologisch orientierte empirischeRezeptionsforschung dieses Themas nicht angenommen. Auch in den Untersuchungenzur Übersetzungspraxis der Zeit wird auf die frankophone Almanachliteraturnicht eingegangen. Selbst in Ruth Floracks wegweisender, umfassenderQuellensammlung Tiefsinnige Deutsche, frivole Franzosen spielt das Textkorpus keine Rolle.

Ziel der Tagungist es, die französischsprachige Almanachkultur im deutschen Sprachraumthematisch, gattungstypologisch und bibliographisch zu analysieren, ihre inter-und intrakulturelle Verankerung anhand der Übersetzungspraxis und desWissenstransfers komparatistisch zu untersuchen, die unternationalphilologischen wie geschichtsteleologischen Prämissen konturiertenLeitbegriffe wie Publikum, Öffentlichkeit, Bildungsnation, Adel oder Bürgertum auf der Grundlage neuer Quellenstudien zuproblematisieren und die zeittypischen Formen literarischer Distinktion zupräzisieren. Lesen und Schreiben sollen nicht nur als „eine abstrakte Operationder intellektuellen Erkenntnis" (Roger Chartier) begriffen werden, sondernals Korrelat einer zeittypischen Kulturökonomie symbolischer Formen undHabitualisierungen. In diesem Kontext gilt es, bisher wenig beachteteLeserschichten und Kommunikationsformen zu konkretisieren und den Charakter dervon der traditionellen Sozialgeschichte zu Quasi-Personen erhobenen Entitäten Publikum und Öffentlichkeit neu zu konturieren.

Dieinterdisziplinär angelegte Tagung verfolgt somit das Ziel, anhand einesrepräsentativen und umfangreichen Textkorpus – aller nachweisbarer, zwischen1700 und 1815 im deutschen Kulturraum gedruckten französischsprachigenAlmanache – die Rolle der frankophonen Schrift- und Buchkultur in den deutschenund österreichischen Territorien sowie der Deutschschweiz zu konkretisieren.Diese Gebiete zeichneten sich im 18. Jahrhundert nicht nur durch eine intensiveÜbersetzungstätigkeit, vor allem vom Französischen ins Deutsche, sondern auchdurch eine bisher nur in Teilbereichen aufgearbeitete Präsenz des Französischenunter den sozialen Eliten aus. Wie neuere Forschungen von Pierre-YvesBeaurepaire, Marc Fumaroli, Edgar Mass, Annett Volmer oder Jürgen Voss belegen,ist die Präsenz des Französischen in den deutschen Staaten als Kommunikations-und Schriftsprache in den größeren Kontext der kulturellen HegemonieFrankreichs im Europa der Zeit 1700-1815 einzuordnen. Diese Dominanz offenbartesich in vielen Bereichen: neben der Literatur und Publizistik auch in derWissenschaft, Kunst, Architektur, Mode, Wohnkultur oder in der Tanzkunst sowie– vor allem während der revolutionären und Napoleonischen Epoche – in derAdministration und Organisation des Militärwesens.

ImZentrum der Tagung stehen folgende Fragestellungen und Ziele:

-erstens anhand eines repräsentativen und umfangreichen Textkorpus die Rolleder frankophonen Schrift- und Buchkulturin den deutschen und österreichischen Territorien des Zeitraums 1700-1815 zuuntersuchen;

-zweitens Gattungsstrukturen innerhalbdes untersuchten Korpus aller frankophonen Almanache zu konkretisieren und zutypologisieren;

-drittens die Rolle und soziokulturellen Profile von Mittlerfiguren wie den Verlegern, Journalisten und Übersetzern undRedakteuren der frankophonen Almanache systematisch zu beschreiben und imRahmen exemplarischer Fallstudien zu vertiefen;

-viertens Themenschwerpunkte und Diskursformen der im deutschen Sprachraum verlegten frankophonenAlmanache, auch kontrastiv im Vergleich zu den französischen Vorbildern, zuanalysieren sowie

-fünftens anhand interkultureller Transfer- und Rezeptionsprozesse zu exemplifizieren, welches Text- und Bildmaterial inwelcher Form von den französischen Vorbildern übernommen und in welcher Weisees im Hinblick auf den Rezeptionskontext des deutschen Sprach- und Kulturraumsübersetzt, adaptiert oder verändert wurde.

Einequellenorientierte, theoretisch reflektierte Analyse der französischsprachigenAlmanachkultur im Alten Reich trägt entscheidend dazu bei, die Vorstellung voneiner deutschen Aufklärung auf den Bodender Tatsachen zu holen, die Realität der interkulturellen Korrelationen dereuropäischen Literaturen wieder ins Bewusstsein zu heben und aufzuzeigen, dassdie beschriebenen Phänomene alles andere als Randphänomene sind. Der Blick aufden interkulturellen Kontext der frankophonen Almanachliteratur im deutschenSprachraum ermöglicht es, lokale oder regionale mit transnationalenUntersuchungsperspektiven komparatistisch zu verknüpfen und die Kommunikationzwischen den Kulturen und Sprachen am Beispiel eines europäischen Leitmediumszur Zeit der Aufklärung, Klassik und Romantik zu konkretisieren.