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Disputatio (1200-1800) : Form, Funktion und Wirkung eines Leitmediums universitärer Wissenskultur

Disputatio (1200-1800) : Form, Funktion und Wirkung eines Leitmediums universitärer Wissenskultur

Publié le par Marielle Macé (Source : Marion Gindhart und Ursula Kundert)

Die Disputation stellt in muendlicher und schriftlicher Form ein – wenn nicht sogar das – Leitmedium des spaetmittelalterlichen und fruehneuzeitlichen Universitaetsbetriebs dar. Als solches wurde sie von der Universitaets- und Fachgeschichte insbesondere in den vergangenen Jahren vermehrt erkannt und durch die bibliographische Erschliessung ausgewaehlter Gruppen gedruckter Disputationen sowie durch mehrere punktuelle Untersuchungen (etwa zur Entwicklung der Disziplinen an einzelnen Hohen Schulen, zur Organisation und Prosopographie) gewuerdigt. Gerade weil sie Leitmedium ist, verdient die Disputation jedoch nicht nur als Quelle fuer bestimmte Fragestellungen der Universitaets-, Wissenschafts- und Sozialgeschichte ausgewertet, sondern insbesondere auch in ihrer formalen Eigenart, als literarisches Phaenomen, betrachtet zu werden.
Die geplante Tagung rueckt ausgehend von der Form und den damit verbundenen spezifischen Funktionen und Leistungen der Disputation folgende Themen und Fragestellungen in den Mittelpunkt:

1. Gattung und Gattungsreflexion
Es gilt zunaechst zu klaeren, was die Form der Disputation ueberhaupt ist. In Grundzuegen ist dies sowohl für die spaetmittelalterliche als auch fuer die fruehneuzeitliche universitaere Disputation skizziert. Darauf aufbauend soll insbesondere untersucht werden, inwiefern die Disputation als (im weitesten Sinne) literarische Gattung aufgefasst wird, indem etwa Stationen ihrer Genese seit der Antike, theoretische Reflexionen (z. B. in Disputationstraktaten) und Rezeptionsformen (etwa in Scherzdisputationen) unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.

2. Verhaeltnis zu anderen wissensvermittelnden Medien
Disputationen, ob muendlich oder schriftlich, sind Teil eines akademischen Prozesses des Austausches und der Positionsbestimmung, an dem auch andere wissensvermittelnde Medien (Deklamationen, Vorlesungen, Traktate, Handbücher, Enzyklopaedien) beteiligt sind. Welche Stelle nimmt die Disputation innerhalb medialer Transmissionsprozesse ein? Welche Funktionen uebernimmt und welchen Zwecken dient die spezifische Form der Disputation? Zudem ist zu fragen, wie sich die Disputationen und das in ihnen vermittelte Wissen zu anderen, zeitgleich entstandenen außeruniversitaeren Schriften verhalten.

3. Paratexte
Die gedruckten Disputationsschriften werden in der Regel von Paratexten begleitet, die einer naeheren Betrachtung wert sind: Als Formen fruehneuzeitlicher Kleinliteratur hat etwa die Vielzahl kurzer Widmungs- und Ehrengedichte – da als Quelle scheinbar unbrauchbar – bisher wenig Aufmerksamkeit gefunden. Die Tagung will sie als integralen Bestandteil von Disputationsschriften ernst nehmen und folgende Aspekte beleuchten: Wie werden Konstituenten der Disputation in den lyrischen Anteilen sichtbar? Wie werden in den persoenlich adressierten Gedichten und Dedikationsepisteln umkaempfte Positionen, vielleicht gar Koalitionen und Invektiven gestaltet? Welche Wir-Gruppe stellt sich im Kreis der Ehrengedichte dar? In welchem Verhaeltnis stehen die verschiedenen Paratexte (Titelblatt, Ehrengedichte, Widmungsschreiben) zueinander und zum Haupttext der Disputationsschrift?

4. Affinität zu bestimmten Wissensfeldern
Disputationen stellen ein zentrales Medium fuer Wissenskonstituierung und Wissensvermittlung dar. Gefragt werden soll, welche Wissensgebiete und welche spezifischen Themen in Disputationen verhandelt werden, welche Schwerpunktsetzungen und auch Veraenderungen bei der Wahl der Disputationsinhalte und ihrer Behandlung festzustellen sind und wie einzelne wissenschaftliche Disziplinen und ihre Methoden im Spiegel der Disputationen erscheinen.

5. Disputationen als Prätexte literarischer Werke
Einige Untersuchungen haben bereits festgestellt, dass Disputationen bei der Gestaltung bestimmter literarischer Texte (etwa im Bereich der Querelle des femmes oder des Dramas des 17. Jahrhunderts) als Muster und Stofflieferanten gedient haben. Angesichts der Fuelle von Texten aus gelehrter Hand und des Wirkungskreises oeffentlicher Disputationen, welche nicht selten auch Nicht-Gelehrte erreichten, ist zu vermuten, dass mehr Texte als bisher angenommen Einfluesse von Disputationen zeigen. Die Tagung versucht, dieser Vermutung nachzugehen: Wie verwenden literarische Texte, welche den Begriff ›Disputatio‹ (oder ›Disputaz‹ etc.) explizit nennen, diese Allusion für ihre Zwecke? Gibt es deutliche Reflexe der Form universitaerer Disputationen (allenfalls auch von oeffentlichen theologischen Disputationen in der Volkssprache, sog. Religionsgespraechen) in literarischen Texten?

Der Zeithorizont der Tagung ist angesichts der longue durée des Phaenomens ›Disputation‹ bewusst weit gewaehlt und erstreckt sich auf die sechs Jahrhunderte von der Etablierung der scholastischen Universitaet bis zur methodischen und ideologischen Umgestaltung des universitaeren Lehrbetriebs um 1800.

Organisatorisches
Interessenten, die auf der Tagung einen Vortrag halten moechten, melden sich bitte bis zum 15. Juli 2006 unter der Mailadresse mailto:disputatio@email.uni-kiel.de bei den Veranstalterinnen. Tagungssprache ist Deutsch. Neben den ueblichen Angaben (Name, Anschrift, Vortragstitel) erbitten wir als Anlage ein ein- bis zweiseitiges Exposé, aus dem die Fragestellung, das Textkorpus, die Methode und die Verortung des Beitrages innerhalb des Generalthemas ›Disputatio‹ und der skizzierten Leitfragen ersichtlich sind. Als Vortragszeit sind 25 Minuten vorgesehen. Das Abgabedatum für die Aufsaetze wird der 31. August 2007 sein.
Die Tagung findet unter Finanzierungsvorbehalt statt.